Globales Lernen – Ein entwicklungspolitischer Rückschritt?

Inwiefern lassen sich Strukturen und Dynamiken des impliziten Rassismus im deutschen Bildungssystem aufdecken und nachhaltig überwinden? (2015)

1                Einleitung

Die Zusammenhänge der Globalisierung stellen die Menschheit nicht nur vor neue wirtschaftliche, politische oder ökologische Herausforderungen. Auch der Blick auf Bildung und Erziehung erhält dadurch eine neue Perspektive. Es gilt, neue Fragen zu stellen und zu beantworten, die sich zum einen mit gesellschaftlichen Transformationsprozessen auseinandersetzen, andererseits müssen die Grenzen von Begriffen wie Kultur oder Heimat neu definiert werden. Die jüngsten Flüchtlingsbewegungen demonstrieren auf eindringliche Weise, wie notwendig ein entwicklungs- und sozialpolitischer Paradigmenwechsel in einer kosmopolitischen Gesellschaft ist. So müssen Bildungsträger junge Menschen langfristig dabei unterstützen, Fähigkeiten und Fertigkeiten aufzubauen und zu trainieren, die es ihnen ermöglichen, auf neue globale und entwicklungspolitische Veränderungen und Problemen kompetent und verantwortungsvoll zu reagieren.

In der Vergangenheit hat sich im deutschen Bildungssystem insbesondere das Konzept des Globalen Lernens (GL) etabliert, welches dafür Sorge trägt, die Erziehung zu Weltbürgerinnen und Weltbürger voranzutreiben. Jedoch kommt dieses Modell nicht gänzlich ohne Kritik daher. So wird dem GL u. a. vorgeworfen, zu stark an altkolonialen Denkweisen festzuhalten, stereotypisierte Vorstellungen vom Ausland zu manifestieren sowie westlich-zivilisierte Strukturen als Norm zu privilegieren. Die Problematik der sozialen und entwicklungspolitischen Ungleichheit werde auf diese Weise zu einseitig behandelt und sei noch immer mit implizitem rassistischem Gedankengut verwoben.[1]

Diese Arbeit möchte einen Diskursbeitrag leisten, welches das Modell des GL mehrperspektivisch durchleuchtet. So soll in erster Linie hinterfragt werden, ob das Konzept dem fortschreitendem Weltsystem gerecht wird oder sich jene Vorwürfe vonseiten diverser Initiativen (u. a. ‚glokal e. V.‘) bewahrheiten. Konkret sollen Chancen und Grenzen des Globalen Lernens fokussiert sowie Überlegungen angestellt werden, wie sich das Konzept im Sinne einer loyalen kosmopolitischen Erziehung nachhaltig verbessern ließe.

 

2                Globales Lernen – ein Konzept unter Generalverdacht

2.1            Was darf Globales Lernen sein und was nicht? – eine Annäherung

Globales Lernen versteht sich als ein pädagogisches Bildungskonzept, welches nach kompetenten Herangehensweisen bzgl. entwicklungspolitischer Veränderungen in der Weltgesellschaft sucht. Dabei bedient sich das Konzept inhaltlich der Dringlichkeit einer Bewusstseinsveränderung zugunsten „globalverantwortlicher […] Wertvorstellungen“.[2] Es gilt, Schlüsselqualifikationen aufzubauen, welche einen effektiven und grenzüberschreitenden Umgang mit den Bedingungen des globalen Zeitalters ermöglichen.[3] Neben dem Ziel, globale Dimensionen und damit zusammenhängende notwendige zukunftsfähige Kompetenzen aufzuzeigen, wird das GL von dem Leitbild gestützt, nachweislich neue ethische Fragen zu stellen, welche die Ambivalenz von „Integration und Desintegration“[4] relativieren.[5] Gleichzeitig wird betont, dass das Konzept keinen konkreten Beitrag zur Friedens- und Menschenrechtserziehung leisten kann.[6] Doch sollte es nicht gerade das tun?

Die interkulturelle Pädagogik stellt weitere Anforderungen an das Konzept: Demnach sei eine gerechte Wahrnehmung der globalen Vielfalt notwendig, welche aus der eigenen gesicherten Identität und Kultur heraustritt und nach verantwortungsvolle Entscheidungsgrundlagen in Hinblick auf ökologische, ökonomische und soziale Probleme fragt. Dies kann nur geschehen, wenn gleichsam Konfliktpotenziale und Ängste gegenüber Fremdbildern entlarvt und abgebaut werden. [7] Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass GL nicht zur Fundamentalisierung des Weltbildes beitragen darf. Es darf in keiner Weise hegemoniale Denkstrukturen betonen, sich gegen kulturelle Verwischungen aussprechen sowie zur Grenzziehung zwischen Eigenem und Fremden beitragen.[8] Vielmehr gilt es, der mit den Prozessen der Globalisierung einhergehenden Vielfalt mit sozialen Kompetenzen zu begegnen.[9] Letztlich darf sich GL nicht der Illusion der Einen-Welt-Idee verschreiben, sondern muss ganz konkret bestehende Konzepte von Kultur und kollektiver Identität kritisch hinterfragen.[10] Nur so ist es möglich, junge Menschen zu erziehen, welche die eigene psychosoziale Existenz nicht als hinzunehmendes Naturschicksal annehmen, sondern diese als beeinflussbare aktive Größe begreifen.[11]

Das Konzept des GLs darf vor den großen globalen Problemen des 21. Jahrhunderts nicht die Augen verschließen, sondern muss sich dem Handlungsbedarf, welche u. a. durch die Migrationsproblematik oder der bis heute anhaltenden institutionellen Diskriminierung gegenüber der Nicht-weißen Bevölkerung resultieren, stellen, welche auch vor dem Lebensraum Schule keinen Halt machen.[12]

2.2            Von Globalem Lernen und institutionellem Rassismus

2.2.1       Einführung

Als die UN 2002 die Dekade für „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) eröffnete und erstmals die Grundidee des GL skizzierte, war noch nicht klar, zu welchen Grundsatzdiskussionen bzgl. einer autonomen Bildungs- und Wissensproduktion man zurückkehren würde. Letztlich galt es, auf die sich wandelnden globalen Verhältnisse zu reagieren und in westlich-zivilisierten Gesellschaften eine Erziehung des Weltbürgertums voranzutreiben. Schulischen und außerschulischen Institutionen wurden Materialien sowie ein Orientierungsrahmen zur Verfügung gestellt,[13] welche einen kompetenten Umgang mit Themen der Globalisierung nahelegen sollten. Während die ersten Konzeptionen des GL als wertvoller Paradigmenwechsel empfunden wurden, brach einige Jahre später massive Kritik über das Konzept hinein. Indem sich im selben Atemzug postkoloniale und antirassistische Bildungsansätze etablierten, stand das GL schnell im Verruf, aufgrund einer mangelnden theoretischen Fundierung vor den wesentlichen Problemen, welche mit den Globalisierungsdynamiken einhergehen, die Augen zu verschließen. An dieser Stelle sollen nun wesentliche Vorwürfe gegenüber der BNE und dem GL aufgezeigt werden.

2.2.2       Kritische Stimmen

Mit ihrem Aufsatz ‚Bildung für nachhaltige Ungleichheit‘ erhob die Berliner Initiative ‚glokal e. V.‘ eine vehemente Anklage, indem diese GL als entwicklungspolitischen Rückschritt verstehe, da in vielen Punkten auf alteingesessene koloniale Strukturen sowie implizit rassistische Denkmuster zurückgegriffen werde oder diese unreflektiert im Raum stehen bleiben. Betrachte man die zur Verfügung stehenden Bildungsmaterialien aus postkolonialer Perspektive, verdeutliche sich die Gefahr einer Reproduktion von hegemonial-eurozentrischen Machtverhältnissen. Auch operiere das Konzept mit zu einseitigen Vorstellungen von Begriffen wie Entwicklung und Kultur.[14]

Als Hauptvorwurf kennzeichnet ‚glokal e. V.‘ die fatale Polarisierung zwischen primitiven Kulturen, welche von der zivilisierten Bevölkerung des Globalen Nordens entwickelt werden müssen.[15] Der jeweils bemessene Entwicklungsgrad eines Landes richte sich dabei maßgeblich an den Normen des westlichen Kapitalismus sowie an einem damit zusammenhängenden fortschrittlichen Modernisierungsgrad, wobei Bewertungskriterien nicht transparent dargestellt werden.[16] Ebenso sei aus den Materialien ersichtlich, dass diese sich in erster Linie an eine weiße Bevölkerung richten und rassistische Rangordnungen implizieren, welche sich auf Faktoren wie Bildung, Stabilität des politischen Systems sowie der Wirtschaftsordnung stützen.[17] Auf diese Weise werde nicht nur auf globaler Ebene ein deutliches Überlegenheitsgefühl der Weißen suggeriert, sondern auch auf nationaler Ebene, indem z. B. eine klare Grenze zwischen den echten Deutschen und den in Deutschland lebenden Ausländern gezogen werde.[18] Ein weiteres Problem ergibt sich, indem innerhalb dieser fiktiven binären Zweiteilung der Welt der Globale Süden als ein zusammenhängender Kulturraum begriffen wird, welcher sich grundlegend vom Globalen Norden unterscheide.[19] Letztlich verstehe sich der Globale Norden als einzig fähiger Akteur, den Problemen des Globalen Südens auf kompetente Weise zu begegnen. Dieses Bild bestätigt auch Jonah Gokovas in seinem Aufsatz ‚EZ und institutioneller Rassismus – Erfahrungen aus dem Globalen Süden‘.[20] Doch oftmals sei die gut gemeinte (vor allem auch karikative) Hilfe der sog. zivilisierten Bevölkerung vor Ort vollkommen unbrauchbar. Des Weiteren erwecke das Konzept den Eindruck, als favorisiere es Geschichtsschreibungen, welche gewaltbereite Kolonialisierungsstragegien legitimieren sowie mit Vorstellungen des aufstrebenden Kapitalismus harmonieren. Eine kritische Auseinandersetzung mit den wirklichen Hintergründen des engen Zusammenspiels von Kulturalismus, Rassismus und Kapitalismus werde an keiner Stelle gefordert.[21]

Auch im Rahmen von Veröffentlichungen des Infoportals iz3w wird betont, wie stark die Konzepte BNE und GL von einer weißen Pädagogik geprägt seien, welche durch gezielte Inhalte und Methoden koloniale Machtverhältnisse sowie stereotypisierte Bilder aufleben lassen.[22] Chandra-Milena Danielzik und Beate Flechtker geben darüber hinaus zu Bedenken, dass die Bestrebungen von BNE und GL in einer Komfortzone verbleiben und die privilegierten Europäer in ihrer Vollmacht bestätigen, indem diese eine Imagination des Weltrettertums hervorrufen.[23] Dabei betonen die Autorinnen, dass es längst an der Zeit sei, kritisch zu hinterfragen, welche Vorstellungen und welches Wissen über wen mit welchem Recht geschaffen werden? Ebenso stellt sich die Frage, welche Akteure über den Entwicklungsgrad von Ländern rechtmäßig urteilen können und dürfen? Vor allem anhand des Afrikabildes verdeutliche sich, inwiefern die Materialien des GLs klassische Klischeebilder bedienen, wenn z. B. lediglich Themen wie Hunger, Armut, Aids und Bürgerkriege thematisiert werden. Auf diese Weise werde eine unrealistische Wahrheits- und Wissensproduktion gestützt, welche geistige und moralische Überlegenheitsgefühle der Europäer manifestiere.[24] Danielzik und Flechtker werfen der BNE in aller Deutlichkeit vor, auf diese Weise gezielte Gesellschafts- und Subjektformen nach eigenen Vorstellungen zu formen.[25] Was dem Konzept also grundlegend fehle, sei ein kritischer Umgang mit dem Entwicklungsgrad westlich-zivilisierter Mächte. Wenn die BNE schreibt, aktiv zur Mitgestaltung einer gerechten, solidarischen und zukunftsfähigen Welt ermutigen zu wollen, muss diese laut Astrid Albrecht-Heide viel stärker die gesellschaftliche Ungleichheit in Zentrum rücken und Aspekte des Critical-Whiteness-Ansatzes sowie postkolonialer Studien einfließen lassen, denn als ein wesentliches globales Problem, welches bislang stumm ausgeklammert wurde, könne vor allem der heutige implizite und institutionelle Kulturrassismus aufgefasst werden.[26]

2.2.3       Eine Gegenstimme

Eine Stellungnahme zu den kritischen Stimmen, welche über BNE und GL einbrachen, liefert vor allem Bernd Overwien mit seinem Artikel ‚Falsche Polarisierung – Die Critical-Whiteness-Kritik am Globalen Lernen wird ihrem Gegenstand nicht gerecht‘ und empört sich gleichsam über die mangelhafte Recherchekompetenz der Autoren, indem diese lediglich solche Materialien fokussieren, welche die eigenen Thesen stützen. Gleichsam missfällt Overwien die progressiv-autoritäre Herangehensweise der Kritikerinnen und Kritiker bzgl. dieser so schwierigen und sensiblen Thematik. Anders als ‚glokal e. V.‘ und derselben bezeugt Overwien, die Behandlung antirassistischer und weißseinskritischer Konzepte werde bis dato so gut wie nur möglich aufgegriffen.[27] Dass diesbezüglich jedoch noch kein gerechter Maßstab gefunden wurde, läge vor allem daran, dass bislang noch keine gesicherte wissenschaftliche und kritische Auseinandersetzung mit der NS-Zeit stattgefunden habe und dies wesentlich vorgehen müsste, um die Problematik des Rassismus in geeigneter Weise aufzugreifen.[28] In diesem Sinne sei es, indirekt ausgedrückt, einfach noch nicht an der Zeit, sich intensiv auf antirassistische Ansätze zu stützen.[29] Zudem weist Overwien die Vorwürfe von sich, das Konzept des GL sei lediglich ein Manifest des Globalen Nordens und betont die enge internationale Zusammenarbeit während des Gipfeltreffens in Rio 1992.[30]  Jene Autoren würden dem Konzept des Weiteren einen pädagogischen Auftrag zuschreiben, welches diesen gar nicht leisten könne. Letztlich sei der Critical-Whiteness-Ansatz selbst zu eng gefasst und ließe sich noch nicht auf geeignete Weise systematisch mit dem Konzept des GL verbinden.[31] Auch an anderer Stelle wird betont, dass sich das GL als nicht als ein Konzept verstehe, welches eine bessere Welt hervorbringen kann.  Es sollen lediglich Ansatzpunkte geliefert werden, welche die westliche Bevölkerung auf empathische Weise mit einem anderen Leben vertraut machen soll, sodass auf diese Weise die Perspektive der zunehmenden Pluralität im Zentrum stehen soll.[32] Unter GL verstehe Overwien also nicht, sich lediglich der Dritte-Welt-Problematik zuzuwenden, sondern vor allem wesentlichere Aspekte wie Nachhaltigkeit zu fokussieren.[33] In einem letzten Atemzug betitelt Bernd Overwien die Vorgehensweise insbesondere der Autorinnen Danielzik, Flechtker sowie Albrecht-Heide als linksprogrammatisch[34] und klagt ihren sogenannten Überwältigungsdrang an, welcher selbst eine unnötige Polarisierung zwischen „People of Colour“ und Weißen vorantreibe[35]. Dies begreift Overwien nicht als Maßstab für politische und soziale Mündigkeit, sondern als missionarischen Rückschritt. Letztlich müsse man der BNE und dem GL grundlegend Anerkennung entgegenbringen, dass diese Konzepte überhaupt ins Leben gerufen wurde.[36] Und nun sei es jedoch langsam an der Zeit auf inhaltlicher Ebene an konkreten Grundansätzen zu arbeiten sowie ein gesichertes wissenschaftliches Fundament aufzustellen.[37]

2.2.4       Eigene Bewertung

Grundsätzlich kann beiden Stimmen auf gewisse Weise Folge geleistet werden: Wenn erstere Autoren darauf aufmerksam machen, dass Themen wie soziale Ungleichheit, Rassismus und Diskriminierung in schulischen Institutionen im Zusammenhang mit dem GL zu wenig reflektiert werden, kann dem nicht widersprochen werden. Dass jedoch ein so junges Konzept wie das GL noch nicht vollständig ausgereift ist und letztlich überlegt werden muss, ob GL in einem solchen Maß die geforderte Friedens- und Menschenrechtserziehung leisten kann, ist ebenso nachvollziehbar. Letztlich wirft die Debatte ein Spiegel zurück zu Universitäten und internationalen Gremien, welche sich darüber einig werden müssen, welchen konkreten Beitrag GL und BNE leisten möchte. Letztlich zeigt sich, dass durch die neuen Bewegungen zugunsten eines Critical-Whiteness-Bewusstseins dringender Rede- und Diskussionsbedarf ersichtlich wird. Es muss genau hinterfragt werden, inwiefern schulische Institutionen imstande sind, ein so hochsensibles Thema in geeigneter Weise aufzugreifen, vor allem dann, wenn ebenfalls nicht klar ist, welche Kapazitäten dem GL in einem ohnehin schon vollen Lehrplan freigeräumt werden sollen. Letztlich ist es sinnvoll, antirassistische sowie -kapitalistische Theorieansätze in die deutsche Bildungskultur einfließen zu lassen, jedoch muss ganz grundlegend danach gefragt werden, wie sich dies in der Praxis umsetzen lässt. Hier müssen vor allem die Fachdidaktiken besser greifen und gezieltere Überlegungen und Strategien aufstellen, die eine kompetente Umgehensweise aufzeigen. Letztlich darf sich die Critical Whiteness-Bewegung nicht nur an BNE und GL aufhängen, sondern in der gesamten Bildungslandschaft einen Paradigmenwechsel vorantreiben, sodass es endlich zu einer ausgereiften wissenschaftlichen Auseinandersetzung kommt. Denn auch in der allgemeinen Bildungswissenschaft wird derart kritischen Konzepten und Ansätzen noch zu wenig Beachtung geschenkt. Es ist daher sinnlos, dass Feld von unten aufzurollen und bei den kleinsten Bildungsträgern des Landes zu beginnen, sondern es geht darum, auf übergeordneter Ebene grundlegend neue  Fragen zu stellen, die sich damit beschäftigen, welche Bildung über welcher steht und welches Wissen auf globaler Ebene als anerkannt gilt. Ebenso müssen gleichsam die Sozial- und Kulturwissenschaften aktiver einschreiten, um neue Fragen an die Subjekte unserer Zeit zu stellen. Erste konkrete Anregungen und Anforderungen zugunsten einer nachhaltigen Verbesserung von BNE und GL liefern diesbezüglich Katrin Konrad (2013) sowie Oliver Trisch (2005) und sollen in einem nächsten Schritt kurz skizziert werden.

3                Perspektiven des Globalen Lernens

Katrin Konrad macht in ihrer Arbeit ‚Globales Lernen und die Gefahr der Reproduktion von Stereotypen‘ darauf aufmerksam, dass der Erfolg des GL-Konzepts wesentlich von der inneren Einstellung sowie dem Kenntnisstand der jeweiligen Lehrkraft abhänge, da nur so ein authentischer und sinngemäßer Zugang für die SuS ermöglicht werde.[38] Auch macht sie deutlich, dass vor allem die Qualitätsmaßstäbe neu gesetzt werden müssen. So würde es Sinn machen, einen Stab an Qualitätsreferentinnen und -referenten aufzubauen, welcher konkrete Mindestanforderungen an das Konzept formuliert und diese gemeinsam mit geeigneten Methoden und Materialien für die Praxis zugänglich macht.[39] Hierbei könne man vor allem auf solche Lehrkräfte zurückgreifen, die direkt an Freiwilligendiensten im Ausland o. ä. beteiligt waren und relevante Erfahrungen mit einfließen lassen können.[40] Letztlich spricht sie dem Konzept des GL wesentlich die Fähigkeit zu, im Bereich der Menschenrechtserziehung wertvolle Beiträge leisten zu können. Auf der anderen Seite ergibt sich eine große Schwierigkeit für all die Lehrkräfte, die keinerlei Erfahrungen im Ausland vorweisen können. An ihrer Stelle ist es schwierig, sich gegenüber SuS kompetent und authentisch zu präsentieren. Da die Themen der Globalisierung mit einer thematischen Komplexität einhergehen, kann es sein, dass diese besagten Lehrkräfte ihr Wissen lediglich aus Büchern beziehen und die darin vorgeprägten Bilder ohne weitere Überlegungen transferieren, eben weil sich ihnen kein Vergleich bietet.[41] Auf diese Weise kann es passieren, dass sich die kritischen Vorwürfe von Seiten ‚glokal e. V.‘ und dergleichen bewahrheiten, vor allem, wenn auf solches Material zurückgegriffen wird, welches von implizit rassistischen und stereotypisierten Denkweisen durchzogen ist. Dies macht deutlich, dass vor allem auch das Material eindringlicher gesichtet werden muss.[42] Der dringende Handlungsbedarf zugunsten eines verbesserten und kritischen Umgangs mit Bildungsmaterialien wird hierdurch deutlich. Auch läge es Konrad am Herzen, das Ausbildungs- und Fortbildungsangebot diesbezüglich besser abzustimmen.[43] Des Weiteren muss von (angehenden) Lehrkräften deutlicher gefordert werden, sich im Angesicht der SuS selbstkritisch zu gewissen Themen zu positionieren.[44] Wenn in der Schule also vermehrt antirassistische und antikapitalistische Ansätze integriert werden sollen, ist es von entscheidender Bedeutung, die eigene Ambivalenz bezüglich der sozialen Ungleichheit deutlich anhand der eigenen Position zu demonstrieren. Letztlich gilt auch hier, schon während der Ausbildung auf antiideologische Theorien aufmerksam zu machen und Lehrkräfte dazu zu bewegen, kritisch eine Position zu beziehen.[45] Konrad betont, dass die Thematisierung der Globalisierungsproblemtik mit einer gewaltigen Komplexität daherkommt, die man nur mit Vorsicht didaktisch runterbrechen dürfe. Aus diesem Grund müssen geeignete Strategien gesucht werden, die es ermöglichen, auch für SuS angesichts eines vollen Lehrplans rechtmäßige Einblicke zu bieten.[46]

Oliver Trisch macht diesbezüglich deutlich, dass sich das GL viel wesentlicher an der Subjektorientierung von SuS anpassen müsse. Letztlich sollen SuS zu Weltbürgerinnen und -bürger erzogen werden; viele von ihnen werden dennoch die größte Zeit ihres Lebens in einem abgesteckten lokalen Raum verweilen und sind daher  nur bedingt von der globalen sozialen Ungleichheit direkt betroffen. Die so beschriebene „Unmöglichkeit des Erfahrbarmachens“[47] könne letztlich zu Lernproblemen bei SuS führen.[48] Trisch führt diesbezüglich an, dass die internationale Kommunikation sowie Interaktion weiter ausgebaut werden müssen, um diese Art von Diskrepanzen abzubauen.[49] Hierbei müssen vor allem Akteure des Globalen Südens stärker mit ihren Erfahrungen einbezogen werden sowie die Kinder- und Jugendforschung weiter vorangetrieben werden, um genau zu hinterfragen, welche Berührungspunkte sich für Kinder und Jugendliche angesichts globaler Probleme ergeben.[50] Letztlich ist auch Trisch der Meinung, dass sich BNE und GL nicht vor der Menschenrechtsdebatte verstecken dürfen, sondern diese im Sinne des Solidaritätsgedanken eindeutig Stellung beziehen müssen.[51] Dies bedeutet gleichsam, verschiedene Konzepte von Ethik und Moral zu durchleuchten und zur Debatte zu stellen.[52] In einem letzten Punkt muss sichergestellt werden, dass sich GL nicht nur an weiße Europäer richtet, sondern alle Bevölkerungsgruppen einbezogen werden. Trisch versteht GL insbesondere als Chance, die SuS auf personeller und sozialer Ebene zu erreichen, indem grundlegende Kompetenzen wie Selbstreflexion sowie Empathiefähigkeit geschult werden.[53] Dies sei ein wesentlicher Gewinn für die deutsche Bildungslandschaft und müsse weiter vorangetrieben werden.

 

4                Fazit

Indem das Konzept des GL im Rahmen dieser Arbeit diskursiv behandelt wurde, ließen sich verschiedene innovative Anknüpfungspunkte ausmachen, die es ermöglichen, dessen qualitativen Nutzwert für die Bildungslandschaft weiter auszubauen. Letztlich hat sich gezeigt, dass Lehrkräfte besser darin geschult werden müssen, kritischer mit Bildungsmaterialien umzugehen, da viele dieser Unterlagen, wie dargestellt wurde, im Verdacht stehen, implizit rassistische, hegemoniale sowie stereotypisierte Vorstellungen zu manifestieren. Auch ist es notwendig, die Lehrkräfte bereits während ihrer Ausbildung dazu zu bewegen, sich angesichts der Komplexität der Globalisierungsthematik selbstständig zu orientieren und eine eindeutige Position zu beziehen, da nur so ein wertvoller Zugang für SuS geschaffen werden kann. Doch um dies zu ermöglichen, müssen die Akteure von BNE und GL vorangehen und sich ebenfalls deutlicher zur Friedens- sowie Menschenrechtserziehung verhalten. Ebenso müssen transparente und zugängliche Qualitätsstandards aufgestellt werden, welche den Lehrkräften einen konkreten Handlungsrahmen bieten. Zusammengefasst darf man das relativ junge Konzept des GL nicht gänzlich verteufeln, sondern es müssen auf sachlicher und inhaltlicher Ebene wesentliche Mängel formuliert und ausgebessert werden. Es bleibt zu hoffen, dass die dargestellte Diskussion einen grundlegenden Paradigmenwechsel in die Bildungswissenschaft sowie Pädagogik überträgt, indem aus wissenschaftlicher Perspektive bestehende Konzepte von „Kultur“ und „Moderne“ kritisch ins Auge gefasst werden. Hierbei können antiideologische Theorien sinnvoll einbezogen werden, jedoch ist es wichtig, diese selbst zur Debatte zu stellen statt sie zu verabsolutieren. Letztlich müssen Lehrkräfte zusammen mit ihren SuS in eine aktive Interaktion treten, da nur so eine Erziehung zur Mündigkeit sowie ein gezielter Einbezug des gesunden Menschenverstands von den SuS gefordert werden kann. Diesbezüglich dürfen die Urteilungskompetenzen der SuS nicht unterschätzt werden, sondern man muss vielmehr davon ausgehen, dass diese bereits in der Lage sind, angesichts der Globalisierungsproblematik auf verantwortungsvolle und empathische Weise zu reagieren. Ein wichtiger Zugang kann geleistet werden, wenn die SuS nicht nur auf fachlicher Ebene angesprochen werden, sondern mitsamt ihrer Erfahrungswelt persönlich einbezogen werden. Nur so kann es gelingen, diese dazu zu motivieren, als aktive Akteure einen gerechten und solidarischen Umgang im Sinne des Weltbürgertums auszuüben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

5                Literaturverzeichnis

Monographien

 

  • glokal e. V.: Bildung für nachhaltige Ungleichheit? Eine postkoloniale Analyse von Materialien der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit in Deutschland, Berlin 2013.
  • Holzbrecher, Alfred: Interkulturelle Pädagogik, Berlin 2004.
  • Hormel, Ulrike, Scherr, Albert: Bildung für die Einwanderungsgesellschaft, Bonn 2005.
  • Konrad, Katrin: Globales Lernen und die Gefahr der Reproduktion von Stereotypen, Köln 2013.
  • Trisch, Oliver: Globales Lernen. Chancen und Grenzen ausgewählter Konzepte, Oldenburg 2005.
  • Siege, Hannes, Schreiber, Jörg-Robert: Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung, Bonn 2015.

 

Zeitschriftenartikel

 

  • Albrecht-Heide, Astrid: Gönnerhaftes Globales Lernen. Ein Plädoyer für den kritischen Umgang mit Weißsein, in: Aktion Dritte Welt e. V., iz3w, Nr. 329, S. D14 f.
  • Danielzik, Chandra-Milena, Flechtker, Beate: Wer mit Zweitens anfängt. Bildung für nachhaltige Entwicklung kann Machtwissen tradieren, in: Aktion Dritte Welt e. V., iz3w, Nr. 329, S. D8-D10.
  • die redaktion: Editorial, in: Aktion Dritte Welt e. V., iz3w, S. D3.
  • Gokova, Jonah: EZ und institutioneller Rassismus. Erfahrungen aus dem Globalen Süden, in: Develop-mental Turn, Berlin 2013, S. 31 f.

 

Sammelbände

  • Schwarz, Ingrid: Globales Lernen und das Konzept der Orte und Nicht-Orte, in: G. Schrüfer, I. Schwarz: Globales Lernen – ein geographischer Diskursbeitrag, Münster 2010, S. 11-27.
  • Hallitzky, Maria, Mohrs, Thomas: Problemaufriss: Die Tatsache der Globalisierung als Herausforderung für die Schulpädagogik, in: ders., (Hgg.), Globales Lernen, Baltmannsweiler 2005, S. XI-XVII.

 

Internetquellen

[1] Konrad, Katrin: Globales Lernen und die Gefahr der Reproduktion von Stereotypen, Köln 2013, S. 50-62.

[2] Forghani, Neda: Was ist Globales Lernen? … und was ist es nicht?, URL: http://www.globaleslernen.de/sites/default/files/files/link-elements/Forghani%20GL.pdf. (02.09.2015), S. 1.

[3] Vgl. ebd.

[4] Ebd., S. 2.

[5] Vgl. ebd.

[6] Vgl. ebd.

[7] Vgl. Schwarz, Ingrid: Globales Lernen und das Konzept der Orte und Nicht-Orte, in: G. Schrüfer, I. Schwarz: Globales Lernen – ein geographischer Diskursbeitrag, Münster 2010, S. 12 f.

[8] Vgl. Holzbrecher, Alfred: Interkulturelle Pädagogik, Berlin 2004, S. 18-21.

[9] Vgl. Holzbrecher, Alfred: Interkulturelle Pädagogik, S. 36.

[10] Vgl. Hallitzky, Maria, Mohrs, Thomas: Problemaufriss: Die Tatsache der Globalisierung als Herausforderung für die Schulpädagogik, in: ders.,  (Hgg.), Globales Lernen, Baltmannsweiler 2005, S. XI-XVII.

[11] Vgl. ebd, S. X-XVII.

[12] Vgl. Hormel, Ulrike, Scherr, Albert: Bildung für die Einwanderungsgesellschaft, Bonn 2005, S. 27.

[13] Vgl. Siege, Hannes, Schreiber, Jörg-Robert: Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung, Bonn 2015.

[14] Vgl. glokal e. V.: Bildung für nachhaltige Ungleichheit? Eine postkoloniale Analyse von Materialien der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit in Deutschland, Berlin 2013, S. 20-30.

[15] Vgl ebd., S. 4.

[16] Vgl. ebd., S. 21 f.

[17] Vgl. ebd., S. 21 f.

[18] Vgl. ebd., S. 41 f.

[19] Vgl. ebd., S. 26 f.

[20] Vgl. Gokova, Jonah: EZ und institutioneller Rassismus. Erfahrungen aus dem Globalen Süden, in: Develop-mental Turn, Berlin 2013, S. 30 f.

[21] Vgl. glokal e. V.: Bildung für nachhaltige Ungleichheit, . S. 48.

[22] Vgl. die redaktion: Editorial, in: Aktion Dritte Welt e. V., iz3w, Nr. 329, S. D3.

[23] Vgl. Danielzik, Chandra-Milena, Flechtker, Beate: Wer mit Zweitens anfängt. Bildung für nachhaltige Entwicklung kann Machtwissen tradieren, in: Aktion Dritte Welt e. V., iz3w, Nr. 329, S. D8-D10.

[24] Vgl. ebd., S. D9.

[25] Vgl. ebd., S. D10.

[26] Vgl. Albrecht-Heide, Astrid: Gönnerhaftes Globales Lernen. Ein Plädoyer für den kritischen Umgang mit Weißsein, in: Aktion Dritte Welt e. V., iz3w, Nr. 329, S. D14 f.

[27] Vgl. Overwien, Bernd: Falsche Polarisierung. Die Critical Whiteness-Kritik wird ihrem Gegenstand nicht gerecht, URL: http://www.globaleslernen.de/sites/default/files/files/link-elements/iz3w-overwien_globales_lernen_neu_kurzbeo-24-07-2013end.pdf. (02.09.2015), S. 2.

[28] Vgl. ebd., S. 1.

[29] Vgl. ebd., S. 2.

[30] Vgl. ebd., S. 3.

[31] Vgl. ebd., S. 1 f.

[32] Vgl. ebd., S. 2 f.

[33] Vgl. ebd.

[34] Vgl. ebd., S. 4.

[35] Vgl. ebd., S. 5.

[36] Vgl. ebd., S. 3.

[37] Vgl. ebd., S. 4 f.

[38] Vgl. Konrad, Katrin: Globales Lernen und die Gefahr der Reproduktion von Stereotypen, S. 19.

[39] Vgl. ebd.

[40] Vgl. ebd., S. 20.

[41] Vgl. ebd.

[42] Vgl. ebd., S. 20 f.

[43] Vgl. ebd., S. 19.

[44] Vgl. ebd., S. 21 f.

[45] Vgl. ebd., S. 21.

[46] Vgl. ebd., S. 22.

[47] Trisch, Oliver: Globales Lernen. Chancen und Grenzen ausgewählter Konzepte, Oldenburg 2005, S. 131.

[48] Vgl. ebd.

[49] Vgl. ebd., S. 130.

[50] Vgl. ebd., S. 131-134.

[51] Vgl. ebd., S. 130.

[52] Vgl. ebd., S. 133.

[53] Vgl. ebd., S. 134.

 

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